80 Jahre: Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 / 27. Januar: Holocaustgedenktag

Villa Wannsee – heute Gedenk- und Begegnungsstätte

Das Datum 20. Januar 1942 hat sich wenig in das Bewusstsein der Menschen eingeschrieben: an jenem Tag trafen sich führende Ministerialbeamte sowie hohe NSDAP- und SS-Funktionäre in einer Villa am Berliner Wannsee. Vielleicht nichts Besonderes, aber diese Konferenz von vor 80 Jahren hatte es in sich. Dort wurde über die „Endlösung der Judenfrage“ beraten und somit das Schicksal von über sechs Millionen Jüdinnen und Juden besiegelt.

Es war Bürokratie pur – schon der Titel der Beschlussvorlage zeigt das: Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage“.  Und im Schlussprotokoll des Treffens wird – im zynischen, menschenverachtenden Jargon der Nazis – klar ausgeführt, was mit den 11 Millionen Juden in den von Deutschland kontrollierten Gebieten geschehen sollte. Ziel sei „die Zurückdrängung der Juden aus dem Lebensraum des deutschen Volkes“.

Schon bald nach jener Januar-Konferenz wurden die Beschlüsse in die Tat umgesetzt und bald darauf wurden in Auschwitz die Gaskammern errichtet.

Man fragt sich bis heute, wie das alles möglich war und wir Deutschen sind und bleiben mit dieser Geschichte auf ewig behaftet. Umso schlimmer ist es, dass sich immer noch bei uns Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit offen, hemmungslos und auch gewaltbereit zeigen. Juden verstecken ihre Kippa, verschweigen ihre Identität, Synagogen müssen Tag und Nacht bewacht werden. „Wehret also den Anfängen!“

Und erinnern wir uns an die Zeit vor 80 Jahren – es ging alles schleichend und nach und nach und den großen Aufschrei gab es nicht. Und die Christenheit im Ganzen schwieg beharrlich.

Viel zu wenige haben damals von den Kirchendächern gegen das große Unrecht gerufen. Es ist nicht an uns Nachgeborenen darüber zu richten – das allein steht Gott zu. Gott lob haben nach dem Kriegsgeschehen einige Christen ihre Schuld eingestanden. In der Stuttgarter Schulderklärung heißt es: „aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Angesichts des bevorstehenden Holocaustgedenktages und der Erinnerung an jene Konferenz am Wannsee müssen wir als christliche Kirchen selbstkritisch und bußfertig zurückblicken und vor allem müssen die Kirchen es auch furchtlos besser machen.

Holocaust-Gedenkstätte in Berlin

Und besser machen bedeutet, dass das sog. Christliche Abendland (nach meiner Überzeugung gibt es das schon lange nicht mehr) mehr Hilfe für Flüchtlinge leisten. Was sich an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen abspielt oder in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln ist unerträglich – ja, sowas schreit zum Himmel. Wir müssen wahrlich zu barmherzigen Samaritern werden und nicht wegsehen. Und dazu gehört auch eine gerechte Aufteilung des Impfstoffes gegen die Pandemie – hier wird bereits auf eine dritte und vierte Impfung gesetzt und woanders ist null – aber egal, Hauptsache WIR.

Es bedarf tatsächlich furchtloser Menschen, die auch heute auf Unrecht hinweisen und für Gerechtigkeit arbeiten, oft bedrängt und verachtet.

Widerstandskämpfer wie Dietrich Bonhoeffer oder die Menschrechtaktivistin Anna Politkowskaja, die 2006 vor ihrer Wohnung in Moskau ermordet wurde. Menschen wie der große schwedische Sozialdemokrat Olof Palme, der unvergessene israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabon oder der Kassler Regierungspräsident Walter Lübcke wurden umgebracht. Und wieder andere wie Edward Snowden oder der Aktivist Nawalny leiden heute unter Freiheitsentzug.

Aber trotzdem müssen wir unsere Stimme erheben und sollen uns nicht fürchten. „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können, doch nicht die Seele.“

Wer gefürchtet werden soll, ist allein Gott. Vor ihm allein sollen wir Ehrfurcht haben. Die christliche Botschaft behält ihre Glaubwürdigkeit durch furchtlose Menschen, durch Märtyrer und bekennende Christinnen und Christen. Und deshalb muss uns jeder Holocaustgedenktag, aber in diesem Jahr die Erinnerung an die Wannseekonferenz wichtig sein: „Wehret den Anfängen!“ und „Nie wieder!“ Seid immer wachsam – und setzen wir uns angesichts unserer unsäglichen Geschichte ein für ein gutes Miteinander in unserem Land und in der Welt und dass wir gegen Hass und Hetze auftreten. Je mehr das furchtlos tun, desto mehr verbreitet sich der gute Geist der Geschwisterliebe.

Ein Beitrag von Pfarrer Wolfgang Sudkamp.

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