Wort zum Wochenanfang

Meine kriminelle Vergangenheit findet keinen Niederschlag im polizeilichen Führungszeugnis – auch nicht im erweiterten. Ich bin mir auch nicht ganz sicher, wie sie begann, ob mit Margaret Rutherford in den Miss Marple Verfilmungen oder mit den drei Fragezeichen. Düstere Psychothriller mag ich nicht. Kriminalistische Spurensuche mag ich auch an historischen Gebäuden. Baufugen, unterschiedliche Baustile, Asymmetrien oder Abbruchkanten liefern Indizien für die Baugeschichte eines Gebäudes, die sich auch ohne Führer am Gebäude selbst ablesen lassen. Die Geschichte hat eben ihre Spuren direkt am Gebäude hinterlassen.

Aktuell beschäftigen wir uns mit den Vorbereitungen für eine Ausstellung zum größten erhaltenen Textil der Antike, das in Turin aufbewahrt wird. Brandlöcher, Blutspuren, Webart, Mineralien und Blütenpollen liefern Indizien für die Herkunft und Geschichte des Tuches. Es hat wohl als Grabtuch Verwendung gefunden. Der Leichnam hat Spuren hinterlassen. Daher der Titel der Ausstellung: „Wer ist der Mann auf dem Tuch? – Eine Spurensuche“. Wie kam John Doe ums Leben? Offensichtlich sehr gewaltsam.

Die Spurensuche begann vor 125 Jahren mit einer Fotografie, bei der sich das Negativ des Fotografen als Positiv herausstellte, weil auf dem fotografierten Tuch ein Negativabdruck war. Das weckte Interesse. Das warf Fragen auf. Die Forschungen zu dem einzigartigen Tuch reißen seitdem nicht ab. Neue Methoden haben inzwischen eine Reihe von Erkenntnissen geliefert und erlauben neue Fragen zu stellen. Das bleibt spannend.

Hat das Tuch in Turin mit dem in den Evangelien genannten Grabtuch zu tun? Es erzählt die Geschichte einer Kreuzigung – der Kreuzigung Jesu? – noch ein paar Fragezeichen. Das Tuch erzählt die Geschichte eines leidenden Menschen und schweigt zugleich über vieles. Der Malteserorden konzipiert und kuratiert diese Ausstellung. Den leidenden Menschen wahrzunehmen und ihm beizustehen, zählt zu seinem Ursprung und seinem Kernauftrag. Im Umgang mit dem Leiden zeigen sich einerseits die Verletzlichkeit und zugleich die Größe des Menschen. „Seht den Menschen!“ sagt Pilatus im Prozess und zeigt auf Jesus. Beides, Größe und Verletzlichkeit des Menschen, schildern die Evangelien in dem Justizskandal der Passion Jesu und akzentuieren unterschiedlich.

Das Turiner Grabtuch kann da eine Sehhilfe sein, eine meditative Hinführung, eine Stimme ohne Worte, wie die des Rufers in der Wüste: spannend (mit mehr als drei Fragezeichen) und zugleich berührend.

Ein Beitrag von Dechant Gerald Haringhaus.

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