Beethoven auf dem Tabor  –  Beethoven ist wirklich glücklich

Was war er doch für ein Mensch. Sein Leben eine riesengroße Qual, die ihn aber auch zu Höchstleistungen antreibt.
Sein Vater alkoholkrank und gewalttätig. Er will aus dem kleinen Ludwig ein mozartisches Wunderkind machen, was teilweise auch gelingt.
Was führt er dann in Wien für ein Leben. Permanenter Ärger mit den Nachbarn wegen der Lautstärke seiner Musik. Keine Wohnung hat ihn länger als ½ Jahr gesehen. Die Frauen wollen von ihm nichts wissen. Die Sehnsucht nach der „unsterblichen Geliebten“ bleibt für ihn unerfüllt. Der Weg zur Prostituierten ist offensichtlich auch nicht unbekannt. Sein Pflegekind, Neffe Karl, versucht sich das Leben zu nehmen.
Nur bei den Kompositionen läuft es. Sonaten, Solokonzerte, Sinfonien, Oper sind unbestritten superklasse. Aus seinen Äußerungen jener Zeit geht hervor, dass er sich für den Größten hält. Nach meiner Meinung liegt er damit auch absolut nicht falsch.
Aber dann der „worst case“ für einen Musiker. Die völlige Taubheit droht. Lange Zeit zieht ihn das so herunter, dass er kaum noch etwas schreibt. Aber plötzlich sprudelt es trotz Taubheit wieder. Was er jetzt schreibt, hat jedoch einen völlig anderen Charakter. Vor allem die Mittelsätze sind von einer wunderschönen, aber nahezu unstillbaren Traurigkeit. Man hat das Gefühl, da liegt einer am Boden und lässt die Tränen hemmungslos laufen. Lieber Gott, hast Du mich denn völlig vergessen? Und die Schlusssätze zeugen von einer schrecklichen Seelenqual.
Man kann sich kaum vorstellen, dass Gott so einer verkrachten Existenz ein Taborerlebnis, mit allem was dazugehört, gewährt. Und doch ist es so. Wenn Sie das erleben wollen, dann hören Sie sich seine letzte Sinfonie an, die er im Zustand völliger Taubheit schreibt.
Schon der langsame 3. Satz offenbart eine himmlische Ruhe. Und dann geht es los. Eine laute Fanfare kündigt es an.
„Freude schöner Götterfunken“, Beethoven hat diesen Götterfunken gesehen. Anders lässt sich diese Musik nicht erklären. Der Chor steigt in immer höhere Regionen. Ich wundere mich immer, dass es Sopranstimmen gibt, die da überhaupt noch hinkommen. Man kann es nicht erklären, man muss es hören und möglichst die Musiker auch sehen.
Im Evangelium heißt es, dass die Jünger Hütten bauen wollen. Damit zeigen sie, dass sie diesen Zustand nicht beenden, sondern im Gegenteil so lange wie möglich festhalten wollen. In der Sinfonie ist es genauso. Beethoven kann nicht aufhören, zu schauen und zu erleben. Immer wieder neu setzt er an, immer schöner, immer höher hinaus.
Und auch das ist folgerichtig: „Seid umschlungen Millionen“. Wer von Gott geliebt ist, muss alle Menschen umarmen, Gottes Liebe weitergeben. Wie ein Volltrunkener in Trance lebt und kostet er diesen Moment aus.
Irgendwann muss es aber mal enden. Ich stelle mir vor, er sinkt völlig erschöpft in den Sessel und schläft sicher sofort ein. Jetzt ist alles gut. Jetzt ist alles gesagt und getan. Jetzt ist Beethoven wirklich glücklich.
Wenn man diese Musik hört, ist es, als würde man um die Ecke herum eine Ahnung von diesem Götterfunken bekommen. Es lohnt sich, es anzuhören.

Der Autor möchte anonym bleiben.

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