Zur Fussballeuropameisterschaft 2021

Gedanken von Pfarrer Wolfgang Sudkamp.

Endlich können wir uns wieder auf ein besonderes Fußballereignis freuen – die Europameisterschaft beginnt am 11. Juni und endet dann am 11. Juli und wird in zehn verschiedenen europäischen Städten ausgetragen.  Ich möchte hier auf das Thema „Fußball und Kirche“ schauen – ein spannungsreiches und zugleich spannendes Verhältnis. Ich möchte dies in drei Schritten tun:

(1) Fußball und Gottesdienst
Da gibt es Parallelen, die ich Ihnen einmal aufzeigen möchte.
Diejenigen, die jeden oder fast jeden Sonntag in der Kirche sind, zählen zur Kerngemeinde. Und ähnliches gibt es auch in jedem Fußballstadion. Hier wie dort gibt es die Treuesten, hier wie dort haben sie ihre festen Plätze, die sie Woche für Woche einnehmen. Momentan leider alles aber unter der Corona-Pandemie.

Und da ist die Kleiderfrage. Der Priester wie die Spieler haben ihre klar definierte und erkennbare Kleidung. Aber auch die Besucher bereiten sich kleidermäßig vor. Zwar gibt es immer seltener den früher üblichen Sonntagslook, aber in den ältesten Klamotten kommt auch niemand hierher. Das ist im Fußball etwas anders, aber die treuen Fans haben ihre Fankluft, wozu der Schal, Mütze, Fahne genauso gehören können, wie die mit Symbolen bunt bestickte Jacke.

Wann und wo es losgeht, ist beim Gottesdienst genauso eindeutig wie beim Fußball. Hier ist es das Läuten der Glocke, das Orgelvorspiel und die Begrüßung durch den Priester, dort gehört das Vorstellen der Mannschaften, der Einzug der Mannschaften zur Hymne und der Anpfiff des Schiedsrichters dazu.

Und dann die Lieder! Im Gottesdienst gibt es feste Lieder wie z.B. das Gloria oder das Sanctuslied. Und genauso gibt es in jedem Fußballstadion feste Hymnen, die gesungen werden, des öfteren auch im Wettstreit der beiden Fangemeinden.

Ein spannendes Fußballspiel bleibt genauso lange im Gedächtnis wie ein Gottesdienst, der etwas anregt.

Diese Parallelen machen deutlich, wie wichtig Fußball für viele Menschen ist. Denn bestimmte Rituale bilden sich für Menschenmengen nur in Bereichen, die ihnen wichtig sind. Und diese Rituale haben feste Abläufe und erkennbare Symbole: zu einem Gottesdienst gehören Orgel und Messgewand, zur Hochzeit die Ringe, zur Beerdigung die Erde, die auf den Sarg fällt, und zum Fußball eben Schal, Trikot und Gesang. Und damit bin ich schon beim nächsten Punkt:

(2) Kritisches aus Sicht der Kirche zum Fussball
Fußball ist für viele zur Religion geworden, lautet ein häufiger Vorwurf an den Fußball. Und da ist sicher etwas dran.
Kritisch anzumerken ist, dass es am Rande des Fußballs immer wieder zu Krawallen und Gewalttätigkeiten kommt. Dies ist und bleibt ein großes Problem. Allerdings kann man nachfragen, ob das ein Problem des Fußballs ist oder ob sich hier angestaute Aggressionen ein Ventil suchen, das auch ganz woanders geöffnet werden könnte, bei sozialen Fragen z.B. Aber ich möchte dieses Problem nicht schmälern, es ist vorhanden, wenn ich auch manchmal den Eindruck habe, dass durch gezielte Sozialarbeit die Zahl von gewalttätigen Ausschreitungen zumindest in Deutschland nachgelassen hat, ganz im Gegensatz zu Italien. Traurig ist es trotzdem, denn eigentlich soll Fußball ja genau das verhindern. Brot und Spiele – so hieß es schon in Rom, gebt den Menschen Brot und Spiele, dann sind sie zufrieden. Brot stillt den Hunger und Spiele stillen den Erlebnishunger. Der Satz: Brot und Spiele ist zwar auch nicht ungefährlich, aber es auch gefragt werden, ob nicht Fußball (wie auch andere Sportereignisse) dazu führen, dass vorhandene Aggressionen sich nicht in Gewalt entladen, sondern im lauten Jubelgeschrei oder leisen Weinen im Stadion oder vor dem Fernseher.

Übrigens: Sport gab es auch schon zu biblischer Zeit. Der olympische Gedanke ist älter als das Neue Testament. Und ich erinnere auch heute noch einmal an den Satz des hl. Paulus aus dem 1. Korintherbrief, der da lautet: „Wisst ihr nicht, dass die, die in der Kampfbahn laufen, die laufen alle, aber einer empfängt den Siegespreis? Lauft so, dass ihr ihn erlangt.“

Und (3): Kritisches aus Sicht des Fußballs zur Kirche
Zunächst noch einmal die Frage, ob Fußball nicht eine Art von Ersatzreligion zumindest für einige besonders eingefleischte Fans geworden ist. Das ist ganz sicher so, aber es gibt auch den einen oder anderen passionierten Kleingärtner, den im Schützenverein Aktiven, den vollständig in seinem Beruf aufgehenden Menschen, für die ihre Tätigkeit ebenso Lebensziel, Lebensinhalt und Lebenssinn darstellt wie die Fußballverehrung einiger Fans. Die Frage der Ersatzreligion stellt sich auch anderswo – und sie ist auch immer eine Anfrage an die Kirche, warum Menschen nicht Gott, sondern ganz anderen Dingen die Ehre geben, die eigentlich ihm gebührt. Und da lässt sich aus der Sicht des Fußballs schon einiges Kritisches zur Kirche sagen:

Ich beginne mal mit dem Singen. Man ist immer wieder erstaunt, wenn man in den Stadien die gewaltigen Männerchöre singen hört. Sind die gleichen Männer in der Kirche, singen sie entweder gar nicht oder nur leise vor sich hin. Am Singen-können kann es also nicht liegen. Woran liegt es also? Vielleicht liegt es ja auch an den Liedern, die wir in den Kirchen singen, dass viele, vor allem jüngere Menschen sich mit den teilweise altertümlichen Texten nicht identifizieren können oder sie das Gefühl haben, darin nicht vorzukommen. Sicher hat Singen auch mit Gewohnheit zu tun, aber ich frage mich schon, ob wir mit unseren Gottesdiensten wirklich nahe genug am Gefühl der Menschen dran sind.

Die nächste Frage, die ich vom Fußball her an uns Kirche habe, lautet: sind wir von unserer Sache so überzeugt und begeistert, wie die Fans im Stadion? Ist unser Einsatzwille und unsere Einsatzbereitschaft so stark? Das ist sicher eine gefährliche Frage, weil manch einer von uns schon genug Einsatz zeigt. Aber ich frage schon, ob wir von unserer Sache, dem Glauben so begeistert sind, dass die Begeisterung aus allen Knopflöchern heraus kommt? Ein Fan scheut sich nicht, laut vor aller Welt seine Überzeugung heraus zu posaunen. Und wir? Sicher, es gibt erhebliche Unterschiede zwischen dem Bekenntnis zu Gott, völlig klar und zu einem Fußballverein, aber ich denke auch, dass die Begeisterungsfähigkeit der Fußballfans uns für unseren eigenen Bereich zu denken geben sollte.

Vielleicht liegt ein Grund für die Begeisterungsfähigkeit der Fans in der überschäumenden Lebenslust, die hinter der Fußballbegeisterung sichtbar wird. Die Vorfreude auf ein Spiel ist riesig, für die Anfahrt werden Kosten und Mühen nicht gescheut, das Erleben im Stadion ist prickelnd, und die ganze Fußballbegeisterung ist voller Lebenslust und Lebensfreude. Nun ist ganz sicher der Glaube nicht mit Lebensfreude und Lebenslust gleichzusetzen, Glaube hat ja oftmals auch und zu Recht mit den Schattenseiten des Lebens zu tun. Aber wenn wir bekennen, dass unser Glaube mit der ganzen Welt zu tun hat, dann eben auch mit Lebenslust und Freude, und dann eben auch mit Sport und Sportbegeisterung. Ich denke, für die meisten Fans und Spieler steht diese Lebenslust und Freude am Sport im Vordergrund, nur eine Minderheit sieht darin den einzigen Lebenssinn. Und von der Lebensfreude, die sich im Sport ausdrückt, etwas hinein holen zu können in unsere kirchlichen Aktivitäten, dass würde ich mir wünschen, damit auch in der Kirche neben der Beschäftigung mit den schweren Seiten des Lebens, ein stärkeres Bekenntnis zu der Freude und der Lust am Leben spürbar wird. Lebenslust und –freude sind ebenfalls von Gott geschaffen worden – für uns.

In diesem Sinne wünsche ich den Fußballbegeisterten eine spannende Europameisterschaft – und den anderen wünsche ich, dass sie mit Humor die Fußballanhänger in dieser Zeit begleiten oder auch in Ruhe lassen können.

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