Ein Requiem für das Grabtuch?

Um es vorwegzunehmen: Es war ein ergreifendes Erlebnis, eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Grundfragen von Leben und Tod in Musik, Schauspiel, Licht und Raum inmitten der Grabtuchausstellung. Das Ensemble Sentempa, sieben Musikschaffende aus dem Raum Köln, haben die Performance auf höchstem Niveau nicht nur aufgeführt, sondern komplett konzipiert und die Teile der schönsten Requiem-Kompositionen aus der Musikgeschichte für ihr Ensemble arrangiert und einer Gesamtdramaturgie unterworfen, die der Liturgie eines Requiems in der katholischen Kirche folgt. Es ist eine Liturgie, deren Schönheit und Klarheit hier in den Teilen von Brahms, Howells, Fauré, Saint-Saëns, Dvorak, Jenkins, Britten, Barber, Elgar und natürlich Verdi und Mozart neu entdeckt werden konnte.

Es ist eine Schönheit, die seit Jahrhunderten Menschen hilft, im Glauben den Tod zu verstehen. Leider scheinen wir in unseren heute üblichen Beerdigungsriten oft diese Betrachtungsweise mehr und mehr zu verlieren; umso wunderbarer dieses Konzert am letzten Sonntag in der Kirche St. Johannes Baptist. Vor über 100 Jahren verlieh der amerikanische Schriftsteller Edgar Lee Masters in dem Buch „Die Toten von Spoonriver“ 230 auf einem fiktiven Friedhof begrabenen Charakteren in Sonetten eine Stimme. Der äußerst erfolgreiche Gedichtband animierte den deutschen Komponisten Wolfgang Jacobi 1956 zu Vertonungen für Bariton und Akkordeon. Daraus ließen die vier Gesangssolisten Johanna Risse, Silja Bothe, Leon Wepner und Bastian Röstel vier unterschiedliche Personen erscheinen: der vergiftete Kirchenvorstand Turner, eine skrupellose Anwältin, der Zirkusjunge Sam Hookey sowie der scharlachkranke Francis blicken auf ihr gerade beendetes Leben. Gemeinsam und doch jeder für sich begeben sie sich auf die musikalische Suche nach dem ewigen Licht. Trauer, Zorn und Versöhnung, jedes Schicksal birgt etwas anderes.

Ein Requiem gedenkt aller Toten, mal tröstend, mal tiefgläubig, mal erschrocken und zornig. Wunderbar, wie die vier Vokalisten es schafften, dass einem sowohl die lieblichen Soli als auch die mächtigen Chöre fast originalgetreu der verarbeiteten Requiem-Kompositionen unter die Haut gingen. Aufgeregt intensiv gelang das „Tod, wo ist dein Stachel?“ aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms oder auch das „Dies irae, dies illa“ von Saint-Saëns, sensibel mitfühlend das „Recordare“ von Verdi oder das „Lacrimosa“ von Mozart. Bei dem „Agnus Dei“ nach dem „Adagio for Strings“ von Samuel Barber, das ja intensiv immer wieder zu den Bildern während des Terroranschlags 9/11 in den Medien gespielt wurde, dachte man intuitiv an die Opfer des Terrors in unseren Tagen. „Nimrod“ aus den Enigma-Variationen von Edward Elgar mit dem Text des „Lux aeterna“ und das „Libera me de morte aeterna“ von Gabriel Fauré setzten zum Schluss den Punkt auf die Hoffnung der Erlösung. Sofia Chelidoni (Violine), Simon Wangen (Cello) und Robert M. Hogrebe (Orgel/Klavier) verstanden es neben ihren Solopassagen tatsächlich den Eindruck zu erwecken, man höre ein großes romantisches Sinfonieorchester. Es war ein Konzert, das in seiner Vielfalt (von Klassik bis zur Moderne), in seiner Einheit (Darstellung des Requiems) ein Genuss auf höchstem Niveau war, passend zur Grabtuch-Ausstellung über Passion und Tod, passend zu den Feiertagen im November, passend zu den aktuellen Themen unserer endlichen Zeit.

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