„Hosianna“ oder „Kreuzige ihn“?

Jesus zog in Jerusalem ein und die Menschen waren begeistert und jubelten ihm zu: „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn.“ „Hosanna“ oder „Hosianna“ ist die eingedeutschte Form des hebräischen Satzes  „Hoschiah na“ und bedeutet übersetzt: „(Ach, HERR,) bring doch Rettung!“

Ja, den Menschen in Israel ging es damals schlecht. Israel war von den Römern besetzt, die das Land ausbeuteten und deren Soldaten die Bevölkerung schikanierten. Daher richtete sich die Hoffnung vieler Menschen darauf, dass Gott wie schon früher in der Geschichte Israel aus der Unterdrückung retten werde.

Und von Jesus, dem „Propheten aus Nazaret“, wurde Unglaubliches und Wunderbares berichtet: Er heilte Kranke und Besessene, vermehrte Brot und Fisch und schien eine ganz besondere Beziehung zu Gott zu haben. Wer konnte helfen, wenn nicht er – der Retter, der starke Mann, der Messias …? Mit ihm würde es wieder Frieden, Wohlstand und Größe für Israel geben wie zur Zeit des großen Königs David!

Und was mutete Jesus den Menschen in dieser Notlage zu? Er ritt auf einem Esel in die Hauptstadt – dem bekannten Symbol des Friedens. Mehr als deutlich signalisierte er so, dass Krieg und Gewalt nicht sein Weg waren. Seine Botschaft lautete, dass das Kommen des Reiches Gottes vom Verhalten jedes Einzelnen abhinge. Nicht er, Jesus, würde das Friedensreich errichten, sondern es würde wachsen, wenn die Menschen ihren Alltag nach Gottes Geboten, zusammengefasst im Hauptgebot der Liebe, ausrichten würden. Selbstverantwortung statt Versorgung – wie frustrierend. Und Frustration schlägt schnell in Aggression um: Wenn er nicht so handelt, wie wir es uns vorstellen – ans Kreuz mit ihm!

Jetzt befindet sich unser Land in einer Krise – wenn auch in einer völlig anderen als damals das Land Israel. Nicht Menschen sind unser Gegner, sondern ein Virus.

Viele Leute haben Angst um sich oder ihre Lieben oder geraten in wirtschaftliche Not. Niemand weiß, wie lange dieser Zustand noch dauern wird. Und auch heute setzen viele Menschen ihre Hoffnung auf Retter – Virologen, Politiker, Wirtschaftsweise …  – die uns bald aus dieser Krise herausbringen sollen, damit wir unser schönes, komfortables Leben wieder zurückbekommen. Jetzt verantwortungsbewusst zu handeln – Kontakte, Freizeitaktivitäten, Reisen, Konsum … einzuschränken – ist frustrierend und führt auch schon an manchen Stellen zu Aggression. Auch die „öffentliche Meinung“ wird bald wieder alle diejenigen Experten „kreuzigen“, deren Regelungen nach ihrer Ansicht zu früh oder zu spät eingeführt oder wieder aufgehoben werden, zu große Einschränkungen oder zu wenig Erfolg bringen oder …

Ich wünsche mir, dass es mir gelingt, trotz Unsicherheit und Frust der Versuchung des „Kreuzige ihn“ zu widerstehen und ganz bewusst meinen Blick darauf zu richten, was in dieser Zeit an Gutem und Mitmenschlichem geschieht – wo heute „Reich Gottes“ wächst.

Armgard Diethelm

„Einzug in Jerusalem“ – in der Kinderbibelwoche zur Vorbereitung auf Ostern 2017 entstanden