Vom Deister bis zum Jordan

Wer regelmäßig den Blog liest, erinnert sich vielleicht an meinen Beitrag „Bärlauch statt Weihrauch“. Ich berichtete von einer Wanderung über den Ith.  Am 1.Mai habe ich mir mit meiner Frau einen weiteren Höhenzug im Weserbergland vorgenommen. Wir sind übern Deister gegangen. Mir als Ostwestfalen ist die Redensart: „Das ist übern Deister gegangen!“ aus der Kindheit noch geläufig. Damit waren all die Dinge gemeint, die man vergeblich gesucht hat und die wahrscheinlich endgültig verloren gegangen sind oder weggeschmissen wurden. Im Wanderführer stand dazu, dass die Redensart wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass in der Zeit der Christianisierung und wahrscheinlich auch noch einige Jahrzehnte später die Opferpriester der „alten Taufe“ auf dem Deister aktiv waren. Dort geschahen Dinge, die zwar jeder ahnte, die aber niemand schriftlich festhielt. Einige erahnen Menschenopfer oder Gottesprüfungen. Interessanterweise ist die Redensart „Über den Deister gehen“ auch angewendet worden, wenn jemand von einer Krankheit genesen war. Das wiederum lässt darauf schließen, dass diejenigen, die beim alten Kult lebend zurückkamen, über den Deister gegangen waren.

Eine zweite weniger religiöse Bedeutung erzählt von der Flucht der männlichen Bevölkerung des damaligen Königreiches Hannover, welches Söldner an die Engländer im amerikanischen Befreiungskrieg verkauften. Um diesem Schicksal zu entkommen, flohen viele über den Höhenzug Deister und waren dann im Königreich Preußen und für die Hannoveraner (und sicher auch für ihre Familien) verloren.

Wo wir gerade bei Redensarten sind. Eine ähnliche Bedeutung hat die Redensart: „Übern Jordan gehen!“ oder für weniger weit gereiste: „Über die Wupper gehen!“

Hier ist allerdings ursprünglich eher der Tod gemeint. Wenn jemand über den Jordan geht, dann stirbt er. Da die Israeliten im Alten Testament über den Jordan ziehen mussten, um ins gelobte Land zu kommen, wurde diese Metapher benutzt, um zu beschreiben, was einem Menschen bevorsteht, wenn er in den Himmel kommt. Er muss zunächst über den Jordan gehen. Diese Symbolik des Übergangs und des Fährmanns in Verbindung mit Tod kennen wir auch aus anderen Religionen. In der aktuellen kirchlichen Situation wird übrigens auch behauptet, dass die Kirche über den Jordan gehen muss, damit sie dem Auftrag Gottes gerecht wird. Aber das ist ein anderes Thema.

Ulrich Martinschledde

Zum Foto: Kathedrale aus Buchen in frischem Frühlingsgrün und einem Teppich aus blühendem Bärlauch. Aufgenommen auf dem Deisterkammweg. Nicht auf dem Foto: Ein Bärlauchduft, der einen trunken machen kann und das Wasser des Himmels, mit welchem uns die Bäume nach einem Schauer segneten.

Bonusmaterial

Die Redewendung „über die Wupper gehen“ hat ebenfalls eine Vielfalt von Erklärungen. Da gab es auch Männer, die sich 1715 auf die andere Seite der Wupper der Zwangsrekrutierung entziehen wollten. Es gibt in der Stadtgeschichte Wuppertals (damals Elberfeld und Barmen) nur einen Friedhof auf der einen Wupperseite (Hinweis aufs Sterben). Am griffigsten finde ich die Erklärung auf den Bau des Gerichts auf einer Insel der Wupper. Wer über die Wupper ging kam, entweder ins Gefängnis oder wurde hingerichtet. Selbst heute müssen Firmen beim dortigen Amtsgericht ihren Konkurs erklären und gehen über die Wupper.